Vom Himmel auf Erden by Ahlers Christoph Joseph; Lissek Michael
Autor:Ahlers, Christoph Joseph; Lissek, Michael
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Goldmann TB
veröffentlicht: 2016-12-14T11:36:42+00:00
KAPITEL 8
Sexting, Dating, Partnering – Internetsexualität 2.0
Es gibt keinen Grund, einem Produkt gegenüber loyal zu sein,
wenn es seinen Zweck nicht erfüllt und
vielversprechendere Alternativen vorhanden sind.
Zygmunt Bauman
Können wir heute überhaupt noch leben, »wie wir sind«? Oder gibt es wegen der allgegenwärtigen Digitalisierung nicht dermaßen viele Role Models, Ablenkungen, Verwirrungen, dass wir gar nicht mehr zur Besinnung kommen?
Das klingt mir aber arg nach einer kulturpessimistischen Sicht auf die Dinge! Gehören Sie auch zu denjenigen, die glauben, durch die »modernen Zeiten« und vor allem durch »das böse Internet« sei nun endgültig der Untergang des Abendlandes gekommen? Man komme nicht mehr »zu sich selbst« und werde ständig vom »Wesentlichen« abgelenkt? Ich hoffe doch nicht. Denn »moderne Zeiten« haben schon immer geherrscht – an jedem Tag, in jedem Jahr, in jedem Jahrzehnt, in jedem Jahrhundert. Und das »Wesentliche« an oder in uns existiert nicht ohne Interaktion mit einer beständig sich wandelnden Umwelt. Und das ist weder schlecht noch gut. Es ist einfach, wie es ist. Mir geht es hier vor allem darum, einen aktuellen Teil dieser stetigen Veränderungen zu beschreiben: die Auswirkungen des Internets auf die Lebensbereiche Liebe, Sexualität und Partnerschaft.
Wenn wir uns die Veränderungen durch das Internet ansehen, müssen wir tatsächlich nicht bloß eine informations- und kommunikationstechnologische, sondern auch eine soziokulturelle Revolution beschreiben. Schon das monodirektionale Web 1.0 hat viele bahnbrechende Veränderungen mit sich gebracht. Nie zuvor war in unserer Kulturgeschichte so viel Information und Wissen so unbeschränkt und dezentral für so viele Menschen zugänglich und verfügbar wie durch die Verbreitung des Internets Ende des 20. Jahrhunderts. Um wie viel größer aber sind die Veränderungen durch das interaktive Web 2.0 und die Breitband-Datenverbindungen seit Beginn des 21. Jahrhunderts! Heute haben alle Menschen mit Internetanschluss die Möglichkeit, zu jeder Zeit auf das aktuelle Weltwissen in multimedialer Form zuzugreifen, selbst Inhalte ins Netz einzuspeisen, mit anderen in Kontakt zu treten, Gleichgesinnte zu finden, mit ihnen zu chatten oder zu skypen, kurz: multimedial zu kommunizieren und zu interagieren. All diese Entwicklungen haben natürlich ganz viel hinsichtlich der Frage verändert, wie Menschen miteinander, mit sich selbst und mit ihrer Sexualität umgehen. Und zwar hinsichtlich so vieler Punkte, dass ich sie wirklich nur kursorisch aufzählen kann.
Fangen wir bei den offensichtlichsten Veränderungen an, denen der beziehungsinternen Kommunikation.
Was geschah früher, wenn der Partner abwesend war? Sagen wir, er oder sie war im Urlaub oder auf einer Dienstreise. Da herrschte in der Regel Funkstille. Und ich spreche hier nicht vom 19. Jahrhundert, sondern von den 1990ern. Wenn die Liebe groß war, rief man sich abends vielleicht aus einer stickigen oder zugigen Telefonzelle an. Oder schrieb sich Briefe. Mit der Hand! Die teuren Telefonate rissen Lücken ins Reisebudget, die Zustellung eines Briefes dauerte Tage. Beiden Kommunikationsformen war gemeinsam, dass Sender und Empfänger letztlich asynchron blieben, manchmal kamen die Briefe sogar erst an, nachdem der Verfasser oder die Verfasserin schon wieder nach Hause zurückgekehrt war. Der Effekt dieser Ungleichzeitigkeit? Das authentische Gefühl, dass der andere weg war. Sehnsucht. Hoffnung. Sorge. Freude auf seine oder ihre Wiederkehr.
Heute ist das vorbei. Ich will nicht sagen, dass es heute keine Sehnsucht mehr gibt, das wäre natürlich Unsinn.
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